Menschen laufen über einen Bahnhofsplatz

Die Niyamas

Die fünf niyamas (Sanskrit नियम; wörtl. beachten, beobachten) sind vor allem Regeln oder Wege der Selbstreflexion, die uns dazu anhalten, uns mit uns selbst und unseren inneren Antrieben auseinanderzusetzen. Es geht um Reinheit, Zufriedenheit, Disziplin, um das Studium des Seins, unsere Beziehung zur Welt, bzw. zu der Energie oder Kraft, die für uns den Ursprung der Welt ausmacht. Die niyamas bieten Übungsfelder, die uns helfen, umherspringende Gedanken auszurichten, die uns Raum schaffen für das Leben im Hier-und-Jetzt, die uns mehr innere Ruhe und Gelassenheit bringen.

 

sauca (Reinheit)

Sauca bezieht sich im ersten Schritt auf die Reinheit des Körpers, dehnt sich jedoch auf immer feinere Ebenen aus. Das Konzept der Reinheit kann auf die Ernährung angewendet werden (indem wir pflanzenbasierte, frische, regionale Lebensmittel verwenden), auf die Reinheit der Psyche und des Geistes (Meditation, Reflexion, Selbstwirksamkeit, Selbstregulation).

Sauca hat also vor allem mit dem Erforschen des eigenen Körpers und Geistes zu tun und führt zu einer Form von Selbstkultivierung. Während Selbstfürsorge eher kurzfristige Lösungen bietet, um uns z.B. nach einem harten Tag zu erholen, geht es bei sauca um tiefere, anhaltende Lösungen. Es geht darum, mit sich selbst bewusst umzugehen und herauszufinden, welche Aspekte wir kultivieren möchten und welche Aspekte wir ändern möchten, um so klar und wach wie möglich durchs Leben zu gehen.

 

Versuche, einen wohlwollenden Zugang zu deiner Körperpflege zu finden. Wähle Mittel zur Körperpflege aus, die dir nicht schaden, sondern deinen Körper unterstützen. Konventionelle Kosmetik enthält häufig Inhaltsstoffe, die nicht gesundheitsfördernd sind.

Wähle Nahrungsmittel, die möglichst frisch sind und deinem Körper die Bausteine bieten, die er braucht, um gesund zu bleiben.

Digital Detox – ist dein Medienkonsum noch angemessen oder bist du so viel online, dass dein Denken und Fühlen überlastet sind und es dir Energie raubt, statt Freude zu bereiten?

Meditiere einmal am Tag, auch wenn es nur fünf Minuten sind, und erforsche dein Innenleben. Welche Gedanken sind präsent? Zeigen sich viele negative Gedanken, schreibe sie auf und versuche herauszufinden, worauf sie dich hinweisen wollen.

 

 

samtosa (Zufriedenheit)

Zufriedenheit kann entstehen, wenn ich immer mal wieder bewusst innehalte und mir klarmache, welche Aspekte in meinem Leben mich zufrieden oder unzufrieden machen. Dann habe ich die Ruhe, Dinge oder Situationen zu finden, für die ich dankbar sein kann und werde mir vielleicht bewusst, dass ich viel zufriedener bin, als ich dachte.

So können wir auch im Laufe der Zeit immer besser spüren, was wir wirklich brauchen, um glücklich und zufrieden zu sein. Es müssen nicht immer die grossen Dinge sein. Auch kleine Augenblicke können uns zufrieden machen. Tatsächlich sind es viel häufiger Aspekte die mit dem «Sein», mit Situationen und Beziehungen zu tun haben, die uns zufrieden machen und weniger solche Aspekte, die mit dem «Haben» und materiellem Besitz zu tun haben. Im Laufe der Zeit können wir so einen «Zufriedenheits-Kompass» entwickeln und können die Quellen unserer Zufriedenheit immer besser in unser Leben integrieren.

 

Abendliche Zufriedenheitsübung

Nimm dir am Abend einige Minuten Zeit und lass den Tag vor deinem inneren Auge Revue passieren. Dann werde dir bewusst, wie du dich während des Tages gefühlt hast. Welche Momente am Tag haben dich mit Zufriedenheit erfüllt. Nimm diese Augenblicke einfach nur wahr, ohne an deinen spontanen Gedanken etwas verändern zu wollen. Wenn du magst schreibe sie auf, um so im Laufe der Zeit zu erfahren, was dich wirklich zufrieden macht.

 

 

tapasya (Selbst-Disziplin)

Wörtlich bezieht sich tapasya auf das Generieren von Hitze im Körper. Darüber hinaus ist mit dem Begriff jedoch auch eine bestimmte Form der Selbstdisziplin gemeint. Diszipliniertes, konzentriertes oder auch achtsames Üben (von Yoga, Meditation oder Handlungen im Alltag) ist eine Form von tapasya. Auch bewusste Kommunikation ist eine Form von tapasya. Veränderung braucht Zeit. Immer wieder von Neuem zu beginnen und konsequent zu üben, führt irgendwann zu entscheidenden Veränderungen im Leben.

«Wenn Träume Wirklichkeit werden sollen, dann müssen wir unbändig für sie „brennen“. Tapas ist das innere Feuer, was Yogis befähigt sich in allen Facetten zu verwirklichen.» (Nancy Krüger)

 

Wähle dir eine tägliche Bewegungspraxis aus und dann bewege dich. Regelmässig. Ohne Ausreden. Mindestens 5-10 Minuten. Vielleicht tanzt du gerne zu deiner Lieblings-Musik. Vielleicht läufst du gerne oder machst einen Spaziergang, etc. Und dann achte darauf, wie du dich nach der Bewegung fühlst.

                           

 

 

svadhyaya (Studium philosophischer Schriften, Selbst-Studium)

Svadhyaya bedeutet vor allem, sich dem Studium philosophischer Schriften im Allgemeinen und Schriften des Yoga im Besonderen zu widmen. Dieses niyama ist wahrscheinlich vor dem Hintergrund der Samkhya-Philosophie entstanden, die den Weg zu höherer Erkenntnis in der Aneignung von Wissen sieht. «Wissen» wird hier nicht im Sinne von angesammeltem Schulwissen verstanden, sondern meint das durchdringende Verstehen von Zusammenhängen in der Welt; einem Verständnis, das den Geheimnissen des Lebens auf den Grund geht.

Dieser Prozess des inneren Verstehens lässt sich über das reine Textstudium auch auf das Verstehen des eigenen Wesens ausdehnen. Anstatt das Glück nur im Aussen zu suchen, regt svadhyaya dazu an, nach innen zu schauen und sich des eigenen Fühlens und Denkens bewusst zu werden. Svadhyaya bedeutet, sich auf die Suche nach dem Menschen zu machen, der wir wirklich sind – jenseits von den Konventionen, Verhaltensregeln und Erwartungen mit denen wir gross geworden sind. In diesem Prozess können wir Verhaltensmuster und Glaubensätze erkennen und bewusst durch andere, positivere Ausrichtungen ersetzen.

 

Nimm dir regelmässig ein wenig Zeit, um darüber nachzudenken, was dir im Leben wichtig ist. Nimm dein Leben bewusst wahr. Versuche offen zu bleiben für deine Erfahrungen und nicht immer alles als selbstverständlich hinzunehmen. Wie begegnest du anderen Menschen? Wie begegnest du der Natur? Welche Hinweise für ein zufriedenes Leben findest du in philosophischen Schriften?

Übung: Gewahrsein dessen, was ist

Gönne dir mindestens einmal am Tag einen Moment des Nach-Innen-Fühlens. Beobachte, welche Gedanken dir durch den Kopf gehen, wie du dich fühlst, Sinneswahrnehmungen sich gerade zeigen, was du denkst. Versuche, an nichts festzuhalten und deine Empfindungen nicht sofort zu beurteilen, sondern erst einmal nur anzuschauen. Sei für ein paar Minuten ein Beobachter deines Innenlebens.

 

isvara pranidhana (Hinwendung an eine höhere Intelligenz, Kraft, Gottheit, etc.; Demut; oder auch Ausrichtung auf ein höheres Ziel)

Ishvara bezeichnet das Göttliche an sich, pranidhana bedeutet Hingabe. Ishvara pranidhana meint dabei weniger die Verehrung eines göttlichen Wesens, sondern die Ausrichtung auf eine Quelle der Kraft und der Weisheit. Die Anerkennung dessen, dass es eine höhere Quelle im Leben gibt, lässt uns die Einheit der Welt erkennen und gibt uns die Chance über einen kleinlichen Egoismus hinaus zu denken und zu fühlen. Meditation, Mudras und Mantras können dabei helfen, den Geist auszurichten; einen Wechsel der Perspektive zu erreichen und uns der puren Lebendigkeit hinzugeben. Für Patanjali ist ishvara pranidhana eine wirksame Methode, um die Unruhe des Geistes zu beruhigen. Der Yogi richtet sich nicht mehr auf sein Ego aus, sondern auf den Ursprung des Lebens.

 

Versuche, in deinem Alltag etwas zu tun, ohne dir ein bestimmtes Ergebnis davon zu erhoffen. Tue etwas, nur weil es dir Spass macht. Mache anderen Menschen eine Freude. Lerne etwas Neues, ohne ein Ziel damit zu verfolgen, vollkommen konzentriert auf das, was du tust. Mache einen Waldspaziergang nur im Bewusstsein der Schönheit der Natur und schaue genau hin. Lese einen Satz aus einem bestimmten Buch und denke darüber nach. Alle Dinge, die uns aus unseren automatischen Reaktionen und zielorientierten Handlungen herausführen, bringen neue Qualitäten und mehr Offenheit in unser Leben.