Was hält mich gesund und hilft mir ein gutes Leben zu führen? Diese Frage gewinnt in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung für unser alltägliches Leben. Denn anders als noch vor ein paar Jahrzehnten, wird Gesundheit heute immer weniger als die Abwesenheit von Krankheit verstanden und Krankheit als etwas das bekämpft werden muss, um Gesundheit wiederherzustellen. Stattdessen erkennen wir immer mehr, dass Befindlichkeiten etwas Fliessendes sind und dass unser eigener Einfluss auf die Gesundheit gar nicht so klein ist.
Gesundheit ist kein Zustand. Gesundheit ist ein lebendiger und dynamischer Prozess, der von jedem Menschen immer wieder neu geschaffen wird. Gesund zu sein ist nicht selbstverständlich. Oft wird uns diese Tatsache leider erst bewusst, wenn wir uns längere Zeit nicht mehr gut fühlen oder uns ein Schicksalsschlag trifft, zum Beispiel in Form einer chronischen Erkrankung.
Es ist klar, dass sich nicht alles im Leben beeinflussen lässt und dass kaum ein Mensch durchs Leben gehen kann, ohne krank zu werden. Doch wir können trotzdem etwas dafür tun immer wieder zu einer Balance zurückzufinden; einer Balance zwischen den Dingen und Situationen, die uns belasten und denen, die uns schützen und Kraft geben.
Eine wichtige Voraussetzung dafür, sich (mehr) um sich selbst zu kümmern, ist das Wissen um die eigenen Ressourcen und Schutzfaktoren. Solche Schutzfaktoren sind zum Beispiel die Verbundenheit mit anderen Menschen, Dankbarkeit und Wertschätzung für die scheinbar normalen Dinge des Alltags, das Erkennen und Verstehen der eigenen Gefühle.
Noch wichtiger aber ist, dass Du Dir selbst erlaubst, für Dich zu sorgen. Was so selbstverständlich klingt, ist für viele Menschen keinesfalls einfach umzusetzen. Alte Konditionierungen und eingefahrene Vorstellungen von dem, was man tun sollte, was man darf oder nicht darf, schränken uns in dem ein, was wir uns selbst erlauben.
Deshalb ist der erste Schritt zur eigenen Gesundheitsfürsorge, dass Du Dir selbst erlaubst, Dich um Deine ganz eigenen Bedürfnisse zu kümmern, ohne das Gefühl zu haben, Du seiest egoistisch. Nur wenn wir uns eingestehen, dass wir nicht immer perfekt funktionieren können und verletzlich sind, können wir uns selbst ganz annehmen, uns klarmachen, dass wir es wert sind und die Energie, die wir gewinnen auch für andere einsetzen.
Die Sozialwissenschaftlerin Brené Brown konnte durch ihre Studien die Macht der Scham als ein wichtiges gesellschaftliches Instrument entlarven, das uns dazu bringt, uns selbst in vielen Zusammenhängen als «nicht genug» zu empfinden. Diese Gefühle des «Nie-genug-Seins» – «nie gut genug», «nie dünn genug», «nie erfolgreich genug» … - bringen uns dazu uns ständig zu bewerten, zu vergleichen und uns an Faktoren wie Leistung, Produktivität und Konformität zu messen.[1]
Dabei verbergen wir unsere eigenen Unsicherheiten und Ängste. Wir verbergen unsere Verletzlichkeit, schämen uns dafür, nicht so zu sein, wie man es von uns erwartet und entfernen uns immer mehr von uns selbst und damit auch von den Anderen. Unser Selbstwertgefühl bleibt auf der Strecke und die Gesundheit leidet.
Lebendige, authentische Menschen dagegen nehmen ihre Gefühle ernst, versuchen zu erkennen wo etwas nicht in Ordnung ist und zu verstehen, warum das so ist. Sie schätzen es, sich anderen Menschen anzuvertrauen und sich verletzlich zu zeigen. Sie bekennen sich zu Fehlern und Unvollkommenheiten, verbiegen sich nicht, um von anderen anerkannt zu werden und gehen dadurch letztendlich stärker aus schwierigen Situationen hervor.
Sich angesichts aller Ungewissheiten und Risiken klarzumachen, dass man grundsätzlich «gut genug» ist und für sich selbst einstehen darf, ist also eine grundlegende Komponente bei der Suche nach einem erfüllten, bunten und gesunden Leben. Eine solche Erwartung von Selbstwirksamkeit - die Überzeugung, dass wir selbst uns für unser Wohlergehen aktiv einsetzen können - wirkt sich nicht nur positiv auf die Gesundheit aus, sondern trägt auch dazu bei, dass schwierige Situationen oder Krankheiten besser bewältigt werden. [2]
Das ist zwar nicht der einzige Schritt, den wir auf dem Weg zu mehr Gesundheit tun können, aber doch ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Sind wir bereit, uns selbst regelmässig ein gewisses Mass an Mitgefühl und Aufmerksamkeit entgegenzubringen, dann werden wir es immer öfter schaffen, unsere Gesundheit ernst zu nehmen und unserem Körper und Geist etwas Gutes zu tun; mit gesundem Essen, regelmässiger Bewegung, ruhigem Atem und dem Erleben der Natur.
Über den Einsatz des Einzelnen für die eigene Gesundheit hinaus gibt es natürlich noch viele andere Aspekte, die für die Gesundheit entscheidend sind: soziale Faktoren, wie die Situation am Arbeitsplatz, ökologische Faktoren, wie der Umgang mit Umweltgiften, Chancengleichheit in der Bildung usw. Doch ohne die Wertschätzung eines aktiven gesundheitlichen Einsatzes des Einzelnen an der Basis, fehlt auch die Grundlage für ein umfassenderes Verständnis von Gesundheit. Darum ist es wichtig, bei uns selbst anzufangen, wenn wir in einer gesünderen Welt leben möchten.
[1] Brené Brown – Verletzlichkeit macht stark. Wie wir unsere Schutzmechanismen aufgeben und innerlich reich werden. Kailash Verlag, Random House, 2013
[2] Klaus Hurrelmann et al. – Referenzwerk Prävention und Gesundheitsförderung. Grundlagen, Konzepte und Umsetzungsstrategien. Hogrefe Verlag, Bern 2018
Photo:
B. Duden