Die Essenz des Yin Yoga liegt darin, sich in eine Körperhaltung hineinzubewegen, in der ein bestimmtes Dehngefühl und eine körperliche Reaktion wahrzunehmen sind, während gleichzeitig die Muskeln bewusst entspannt werden können. Ruhig verweilen die Übenden für einige Minuten in dieser Haltung, um sie danach sorgfältig wieder aufzulösen und den Empfindungen nachzuspüren, die die Haltung in ihrem Körper und im Geist hinterlässt.
Die Begriffe Yin und Yang beschreiben zwei verschiedene Aspekte eines Ganzen. Genau genommen beschreibt das alte chinesische Schriftzeichen für Yin - é™° - die im Schatten liegende Seite eines Hügels, während das Yang Symbol - 陽 - den von der Sonne beschienenen Teil des Hügels bezeichnet. Yin und Yang beschreiben ein und dieselbe Sache aus zwei unterschiedlichen Perspektiven. Yin bezieht sich mehr auf dunkle, langsame, kühle Aspekte, während Yang mehr für die hellen, aktiven und wärmenden Aspekte steht. Diese beiden Seiten stehen immer in direkter Beziehung zueinander.
Für die Praxis des Yoga bedeutet dies, dass Yin Yoga immer in einer ruhigen Form geübt wird, die nach innen geht und die parasympathischen Aspekte des Nervensystems, sowie das festere Bindegewebe und bestimmte innere Organe anspricht. Sie ergänzt andere, aktivere Arten des Yoga - wie zum Beispiel Vinyasa Yoga - macht den Körper beweglicher, verbessert die Zirkulation und beruhigt den Geist. Die Art, wie sich Yin und Yang Stile ergänzen können, um den Körper zu harmonisieren ist dabei immer individuell. Während dem einen mehr Yin-betonte Übungsformen guttun, geht es der anderen besser mit einer aktiven, dynamischen Praxis. Auch unterschiedliche Lebensumstände oder Jahreszeiten können eine Anpassung der Yogastile erfordern.
Für das Üben einer Yin Yoga Haltung werden von Paul Grilley, Bernie Clark und Sarah Powers drei grundlegende Übungsprinzipien genannt, die von Josh Summers leicht angepasst wurden und durch ein viertes Prinzip ergänzt werden. Ich habe an dieser Stelle beide Ansätze kombiniert:
Hier geht es darum, sich so in einer Haltung einzurichten, dass man den Punkt findet, an dem ein mildes Dehn- oder Druckgefühl spürbar ist. Beginne an diesem Punkt in den Körper hineinzufühlen. Sobald sich das Gefühl zu einem unangenehmen Bereich hin verändert oder zu einem Schmerz wird, passe deine Haltung an oder löse sie auf.
Die Yin Yoga Haltungen sollen dem Körper und dem Geist ermöglichen loszulassen. Dafür ist es nötig, sich auf Stille und Ruhe einzulassen. Diese Stille ist jedoch nicht mit Starrheit zu verwechseln. Leichte Bewegungen und Anpassungen der Haltung sind immer möglich. Versuche aber, mit deiner Aufmerksamkeit bei deinem Körper und bei dir zu bleiben.
Um tiefere und festere Gewebeschichten zu erreichen, ist es nötig, für längere Zeit in einer Haltung zu verweilen – üblicherweise zwischen drei und sechs Minuten. Es sollte möglich sein, die Muskeln im angesprochenen oder für dich spürbaren Körperbereich zu entspannen. Gleichzeitig sollte die Zeitspanne aber auch an die individuellen Möglichkeiten angepasst werden. Höre hier auf deinen Körper.
Komme langsam und bewusst aus einer Haltung heraus. Vielleicht nimmst du ein Gefühl von Schwäche, Unbeweglichkeit oder Dumpfheit wahr. Vielleicht fühlt sich der Körper aber auch angenehm an. Respektiere jedes deiner Körpergefühle und gib deinem Körper Zeit auszuruhen, während du wahrnimmst was da ist.
Versuche die Übungsprinzipien in jeder Haltung anzuwenden und respektiere als oberstes Prinzip immer die Möglichkeiten deines Körpers und deine aktuelle Situation. Das Ziel ist es, Veränderung durch ein Geschehenlassen zu erreichen, nicht durch die Willenskraft.
Bernie Clark – Yin Sights. A Journey into the Philosophy & Practice of Yin Yoga. Bernie Clark Hrsg. 2007
Paul Grilley – Yin Yoga. Principles and Practice. White Cloud Press, 2012
http://alexkeller.ch/docs/Yin-Yang_Ein-Erklarungsversuch.aspx
https://joshsummers.net/supine-sequence-for-the-spine/
Die folgende Sequenz von Yin Yoga Haltungen konzentriert sich hauptsächlich auf den Leber- und den Gallenblasenmeridian. Fühle Dich frei, nur einzelne Haltungen auszuprobieren oder die Reihenfolge nach deinem Bedürfnis zu ändern.
Bitte beachte! Bevor Du die folgenden Übungen ausprobierst, versichere Dich, dass Du gesund und dazu in der Lage bist. Frage Deinen Hausarzt oder einen Therapeuten Deines Vertrauens, wenn Du Dir nicht sicher bist, ob Du bestimmte Übungen machen solltest. Die Anleitungen auf dieser Seite ersetzen keine medizinische Beratung oder Behandlung. Sie dienen ausschliesslich der eigenverantwortlichen Gesundheitsförderung. Auch wenn alle Informationen geprüft wurden, können wir keine Verantwortung für eventuelle negative Effekte Deiner individuellen Yogapraxis übernehmen.
Illustrationen: B. Duden